Jeremy Bernard ©

Chronoception

Behind the film

In „Chronoception“ begeben sich drei Freerider und ihr Team auf die Suche nach unbefahrenen Bergen in Kirgistan. Wir blicken gemeinsam mit Snowboarderin Léa Klaue zurück auf ihre Expedition ins Kakschaaltoo-Gebirge.

Kakschaaltoo


Der Kakschaaltoo ist ein Gebirgszug im Tienshan in Zentralasien.

Er erstreckt sich über eine Länge von etwa 400 Kilometern entlang der Grenze zwischen Kirgistan und China.

Sein höchster Gipfel ist der 7.439 Meter hohe Dschengisch Tschokusu.

Im Mai 2022 reisen Thomas Delfino, Aurélien Lardy und Léa Klaue für vier Wochen nach Kirgistan, um bislang unberührte Berge im Kakschaaltoo zu befahren. Gemeinsam mit einem Team aus Bergführern, Filmemachern, einem Fotografen und den kirgisischen Guides verbringen die drei Freerider ganze 21 Tage abseits der Zivilisation.

Es ist eine Reise ins Unbekannte - und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie kennen weder das Land noch das Gebirge und auch als Gruppe haben sie noch nie eine Expedition dieser Größenordnung unternommen. Beste Voraussetzungen für ein großes Abenteuer. Und das beginnt schon auf dem Weg in die Berge.

Thomas, Aurélien und Léa haben sich für ihre Kakschaaltoo-Expedition das Frühjahr ausgesucht, den einzigen Zeitpunkt im Jahr, wo die Berge, die sie gerne befahren wollen, auch wirklich befahrbar sind.

„Im Hochwinter wäre es gar nicht möglich gewesen,“ erläutert Snowboarderin Léa die Entscheidung des Teams. „Das sind hängende Gletscher und die wären im Winter viel zu kalt gewesen. Schwarzes Eis eben. Wir haben für die Expedition eine Jahreszeit gewählt, in der es noch Stürme gibt, die Schnee in diese Höhenlage bringen und in der es noch feucht und warm genug ist, dass der Schnee an diesen Gletschern hängenbleibt.“

"Wir investieren extrem viel, nur um ganz kurze intensive Momente zu erleben. Das ist absurd und schön zugleich."

– Léa Klaue

Was aus Sicht der Freerider absolut Sinn ergibt, bereitet der kirgisischen Reiseagentur eine Menge Kopfzerbrechen. Denn im Frühjahr ist die Steppe, die man durchqueren muss, um überhaupt erst zu den Bergen zu gelangen, weder gefroren noch trocken. Es gibt zwar eine Piste, die mit Allradfahrzeugen befahrbar ist, allerdings nur im Sommer. Im Frühjahr läuft man hier eher Gefahr, im Matsch zu versinken.

Die Kirgisen haben für die Anreise extra einen Kamaz organisiert, einen russischen LKW, der den Ruf hat, überall durchzukommen. Garantieren wollen sie trotzdem für nichts. Sie sagen: Wir bringen euch so weit, wie es eben geht. Und als der Kamaz irgendwann tatsächlich im Matsch stecken bleibt und die Gruppe zu Fuß weitergehen muss – immerhin mit der Unterstützung von einigen Pferden, die einen Großteil des Gepäcks tragen – wundert das am Ende auch keinen so wirklich.

Wenn man auf so eine Expedition fährt, kann man sich schon vorher denken, dass es nicht so kommt, wie man es erwartet. Ich hatte nie das Gefühl, dass wir komplett stecken bleiben. Aber ob wir wirklich irgendwann mal zum Snowboarden und Skifahren kommen, daran habe ich manchmal schon ein bisschen gezweifelt," sagt Léa, "aber ich war mir sicher, eine Line, irgendwo, ist bestimmt drin!

Für sie hatte die Anreise trotz aller Schwierigkeiten auch etwas Gutes. Es war eine unfreiwillige Teambuilding-Maßnahme: "Wir saßen gemeinsam an einem wilden Ort in einem Zelt und haben Probleme gelöst. Da teilt man sehr viele Dinge sehr schnell miteinander und man lernt sehr viel schneller, wie die Leute wirklich ticken."

"Man ist nie genug vorbereitet für solche Dinge."

– Léa Klaue

Manchmal kommen in solchen Situationen dann auch Dinge ans Tageslicht, mit denen man gar nicht gerechnet hat. Zum Beispiel wie es ist, als einzige Frau im Team mit Leuten unterwegs zu sein, die überhaupt noch nie mit einer Frau auf Expedition waren. Léa erinnert sich an Momente, in denen sie merkte, dass sie und ihre Expeditionspartner unterschiedliche Sichtweisen hatten:

"Eigentlich lief das alles gut. Ich mag dieses Expeditionsteam sehr, wir sind alle noch immer befreundet. Aber man hat gemerkt, dass sie nicht gewohnt sind, mit einer Frau unterwegs zu sein. Es gab da diesen Automatismus zu denken, dass eine Frau vielleicht zerbrechlicher ist als ein Mann und dass sie deswegen weniger Risiko eingehen kann. Ganz einfach, weil sie eine Frau ist. Die Fragen "Wieviel kannst du?" oder "Wie gut ist deine Technik?" wurden gar nicht gestellt. Dieses Denken steckt ganz tief in unserer Gesellschaft drin. Und weil wir so viel Zeit miteinander verbracht haben, konnten wir auch sehr viel über diese Dinge diskutieren. Das war richtig lustig. Ich hoffe, dass diese Gruppe viel gelernt hat - mit mir! Aber ganz am Anfang musste ich schon richtig darum kämpfen, dass ich die gleichen Wände fahren durfte."

Als die Gruppe in den Bergen ankommt, zeigt sich, dass sich die ganzen Mühen der Anreise gelohnt haben. Die Schneebedingungen passen, sie haben den richtigen Zeitpunkt fürs Freeriden im Kakschaaltoo gewählt. Doch auf eine Abfahrt vom 5.842 Meter hohen Kyzyl Asker, dem dritthöchsten Berg des Kakschaaltoos, der ganz oben auf ihrer Wunschliste steht, müssen die Freerider leider verzichten. Für einen Berg dieser Größenordnung bräuchten sie ein Wetterfenster von mindestens einer Woche – und das ist einfach nicht drin. Léa, Thomas, Aurélien und ihr gesamtes Team müssen noch einmal improvisieren und entscheiden sich letztendlich dafür, eine Reihe von kleineren Bergen zu befahren.

Für Léa bleibt die Expedition trotzdem ein unvergessliches Erlebnis: "Wenn man so etwas Intensives erlebt, das auch schwierig und schmerzhaft sein kann, dann ist das ein extremes Privileg. Denn auf so einer Reise ist man schon irgendwie auf Adrenalin. Man ist voll im Flow und lebt einfach richtig im Moment. Da bleibt keine Zeit zum Denken – und das ist das eigentlich Schöne. Wenn man so weit weg ist von allem, dann geht man auch auf eine innere Reise. Man merkt, was einem wichtig ist und warum man solche Dinge macht und warum die Leidenschaft dafür so groß ist."

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